Manche Kinderbücher bieten tolle Ansätze zum Nachdenken und viel Stoff für Diskusionen. Das trifft auch auf Martin Baltscheit und Christine Schwarz neues Kinderbuch “Schon gehört?” zu. Erschienen im Beltz Verlag, erzählt das Buch auf 40 Seiten die Geschichte eines rosa Flamingos, der während des Schlafens, Opfer von Gerüchten wird, die sich rasend schnell verbreiten und zu Ungeheuerlichkeiten auswachsen. Empfohlen wird “Schon gehört?” für Kinder ab 5 Jahren.
Zugegeben, weder das Buch noch das Thema selbst sind federleicht. Beim Lesen des Buches mit meinem Sohn, stellten sich mir einige Fragen zur Schwere der Thematik, dem Verständnis für Kinder und die Ausstrahlung der Illustrationen. Und da dachte ich mir, wer könnte diese Fragen besser beantworten als der Autor selbst? Also habe ich Herrn Baltscheit um ein kurzes Interview gebeten. Und eingenommen von meinen eigenen Vorurteilen über gefragte und viel beschäftigte Autoren, hatte ich nur auf Antwort gehofft, aber kaum damit gerechnet. Umso überraschter war ich, als ich kurz darauf meine Fragen beantwortet in meinem Postfach wiederfand. Deswegen erst einmal “Vielen Dank Herr Baltscheit, für das sehr interessante, sympathische und bereichernde Interview”!
Bevor ihr aber weiter unten das Interview mit Martin Baltscheit findet, möchte ich noch kurz ein paar Worte zu Inhalt, Illustrationen und Text von “Schon gehört?” verlieren.
Zum Inhalt: Die Geschichte handelt von einem Flamingo, der “weil er ja schläft”, nicht auf das “Hallo” eines Storches antwortet. Eigentlich verständlich, aber der Storch nimmt das Schweigen persönlich und beschuldigt den Flamingo des Hochmuts, zu glauben er sei etwas Besseres. Es kommen immer mehr Vögel hinzu und das Gerücht nimmt immer absurdere und dramatischere Formen an. Die Stimmung der Tiere und das Gerücht um den Flamingo spitzen sich weiter zu, bis sich die Prophezeiung der Tiere letztendlich erfüllt und der eigentlich immer noch schlafende Flamingo, als monströser Kaisertyrann, den Storch verschlingt. Am Ende wird ein anderes Bild gezeigt, in dem die Situation des friedlich schlafendem Flamingo vom Anfang wieder aufgegriffen wird und durch die einfache Akzeptanz der Situation durch eine Meise, zu einem ganz einfachen und unaufgeregtem Ausgang führt.
Zum Design: Das Buch kommt als Hardcover mit vielen liebevolle gezeichneten aber teils leicht bedrohlichen Illustrationen daher. Der anfangs noch niedliche rosa Flamingo wächst, wie das Gerücht um ihn, zu einem, dem Betrachter frontal entgegengestellten, Inka gleichendem, beängstigenden Vogelwesen heran. Die Illustrationen dazu sind detailreich, farbig und wunderschön gezeichnet. Der Hintergrund ist stets in neutralem Weiß gehalten, was die Tiere noch stärker hervorhebt und das Erzählte unterstreicht.
Zum Text: “Steht ein Flamingo am See und schläft. Rosa Flamingo. Tiefblauer Schlaf.” So wunderschön poetisch beginnt “Schon gehört?”. Es ist sprachlich anspruchsvoll und Großteils in Form von Rede und Gegenrede der einzelnen Tiere gehalten. Dem können Kleine schon gut folgen und es macht das Buch auch für Kinder leicht lesbar. Allerdings werden, meiner Meinung nach, für kleine Kinder einige schwer verständliche Wörter wie “Tyrannenkaiser” benutzt, welche wahrscheinlich eine Moderation zwischen Buch und Kind nötig machen.
Fazit: “Schon gehört?” hat mich anfangs eher fragend, aber nach dem Interview mit dem Autor, stark beeindruckt zurückgelassen. Die Thematik von Vorurteil und Gerüchten schon für Kinder aufzugreifen ist mutig und Herrn Baltscheit und Frau Schwarz, in der Umsetzung, sehr gut gelungen. Ein Kinderbuch mit viel Anspruch, welches hier und da sicherlich der Erklärung durch die Eltern bedarf. Ob ich das Buch schon für Kinder der empfohlenen Altersgruppe als sinnvoll erachte, bin ich mir selber noch nicht sicher. “Schon gehört?” ist ein tolles Buch für alle, die anspruchsvolle Kinderbücher lieben.
Und jetzt möchte ich den Autor Martin Baltscheit im Interview zu Wort kommen lassen: Viel Spass!
Sehr geehrter Herr Baltscheit. Kürzlich wurde ihr neustes Buch “Schon gehört?”, erschienen im Beltz Verlag, veröffentlicht. Ihre erste Kinderbuchveröffentlichung liegt nun schon über zehn Jahre zurück und sie haben seitdem sehr erfolgreich mehrere Kinderbücher geschrieben und illustriert. Was hat sie zum Schreiben von Kinderbüchern veranlasst und haben sie selbst Kinder?
Die erste Veröffentlichung liegt nun fast schon 20 Jahre zurück. Motivation war meine erste Tochter. “Papa kuck mal!” ist durch sie inspiriert und war der Beginn einer Bilderbuchliebe, die mich seither nicht losgelassen hat. Die Form Bilderbuch passt gut zu meinen Talenten. Erzählen, Illustrieren, den Alltag aufgreifen und zu einer Geschichte mit Witz, Originalität und einer klugen Botschaft für Leser jeden Alters werden zu lassen.
Worum genau geht es in “Schon gehört?” und was hat sie zur Behandlung dieses Themas veranlasst?
Gerüchte, Verleumdung und Mobbing. Schon sehr früh beginnen Kinder sich mit kleinen Gemeinheiten das Leben schwer zu machen. Für die oft bodenlose Wirkung oberflächlicher Gemeinheiten zu sensibilisieren war Ziel und Absicht. Die Moral von der Geschichte ist hier: Wer zu viel Müll erzählt, hat es nicht besser verdient, als von den eigenen garstigen Vorstellungen
verschlungen zu werden. Ansonsten gilt für dieses Buch wie für alle meine anderen Bücher: Die Moral, die der Leser für sich selbst erkennt, ist richtig.
“Schon gehört?” wird für Kinder ab 5 Jahre empfohlen. Beim Vorlesen des Buches mit meinem Sohn haben sich mir bezüglich des Verständnis für das Buch, gerade aus der Sicht eines Kindes, einige Fragen ergeben. Halten sie Wörter wie “Kaisertyrann” & Aussagen wie “Das Ende der Welt ist nah! Der Flamingo wird uns alle töten und niemand kann uns retten!” für Kinder dieser Altersgruppe verständlich und nachvollziehbar?
Warum nicht? Kinder sind den ganzen Tag mit neuen Worten konfrontiert. Sie müssen nicht alles genau und “richtig” verstehen, der Zusammenhang muss deutlich werden. Sonst lernen sie ja nichts dazu. 🙂
Einige Illustrationen, zum Beispiel auf Seite 19, 21 und 23 können auf Kinder eher abschreckend und angsteinflößend wirken. Mit welcher Intention haben sie solche bedrohlichen Bilder als Illustrationen gewählt?
Das Gerücht ist bedrohlich. Warum niedlich sein? Märchen sind bedrohlich. Wichtig ist, dass sie gut ausgehen. Die Flamingogeschichte geht gut aus. Der Denunzierte überlebt. Der Ausgegrenzte obsiegt. Der falsch Beschuldigte kommt gut raus aus der Sache. Haben Sie keine Angst vor gruseligen Bildern. Wenn ihr Kind sich fürchtet muss es nicht. Aber halten sie nichts fern, was es interessiert.
Das Buch, welches für mich Vorurteile und unverschuldete üble Nachrede thematisiert, sehe ich aufgrund der Schwere des Themas, eher im Deutschunterricht der 10. Klasse als im Kindergarten. Warum möchten sie so ein anspruchsvolles Thema für Kinder behandeln?
Frei nach Andersen: Ein schwieriges Thema so behandeln, dass auch Kinder es verstehen können. 99 Prozent der anspruchsvollen Literatur für Kinder wäre nie geschrieben worden, wenn Prinzessinnenmütter und Vermeidungsomas versucht hätten ihre Kinder zu beschützen. Ich sag nur Pipi Langstrumpf. In einer Geschichte für Kinder kann alles passieren, sie muss eigentlich nur gut ausgehen. Gerecht. Das ist was zählt. Gerechtigkeit.
Und wenn ein Kind sich fürchtet, weg mit dem Buch! Es wird selbst den Zeitpunkt bestimmen.
Und falls der Zeitpunkt nie kommt, dann ist das so. Es gibt auch Kinder, die können ihr ganzes Leben
mit Lillifee, Connie und der Diddelmaus nichts anfangen.
Ich finde, ihr Buch bietet viele Ansätze für Diskussionen und Material zum Nachdenken. Allerdings erfährt die Handlung mit dem gefressen werden des Storch durch den Flamingo/Kaisertyrann eine drastische Wende, da das eigentliche Opfer zum Täter wird. Was soll dieses Bildnis veranschaulichen?
Wunderbar, wenn es dem Bösewicht an den Kragen geht. Und: Raffiniert, wie hier mit dem “Gerücht” umgegangen wird: Ein Restzweifel bleibt immer. Das ist das Gemeine am Gerücht. Der Zweifel bleibt. Darum hüte man sich vor Halbwahrheiten oder Ganzlügen. Vielleicht trifft einen sonst die Rache des Flamingos!
So lese ich das Buch und das sage ich bei Lesungen auch den Kindern. Den 5,6,7,8,9,10 …99 jährigen Kindern.
Bitte vervollständigen Sie diesen Satz. Und die Moral von der Geschicht….
… verleumde deinen Bruder nicht!
Herr Baltscheit, vielen Dank für das Interview.
Hm, am Ende des Interviews blieb ich immer noch mit vielen Zweifeln zurück. Ehrlich? Ich denke nicht, daß Kinder ab 5 Jahre wirklich bewußt andere Kinder durch Gerüchte etc. und mit Strategie schaden wollen. Ja, gegenseitig ärgern machen sie, auch mal klar und deutlich sagen, mit dem spielen sie nicht. Aber Mobben? Ich habe da sehr starke Zweifel